Meta - Wuhan

Spotlights und/oder Laternen

Freitag, 19. Dezember 2008

blueprint

The big picture:

China: China ist nicht Deutschland. Die Gemeinsamkeiten, die man findet, sind meist auf das Grundsätzlichste beschränkt. Es ist beinahe unmöglich zu beschreiben, wie "die Chinesen" sind, denn sie sind erstens je nach sozialer Schicht und persönlicher Neigung sehr sehr unterschiedlich und zweitens bleibt man in einem deutschen Text in den deutschen Begriffen und damit in der deutschen Kultur und im deutschen Wertesystem stecken.

Es gibt Bücher namens China-Knigge, Kulturtrainingsseminare, etc. Was diese Bücher aber nicht ermöglichen, ist, sich auf die Chinesen einzulassen.
Dieses Einlassen ist unbedingt nötig und es bedeutet, sich erstmal alles aus dem Kopf zu schlagen, was man über die Menschheit weiss und sich nur noch an Handlungen zu orientieren. In dieser Phase befinde ich mich nach wie vor, denn ich kann nicht von mir behaupten, die Chinesen zu "verstehen". Ich habe gewisse Strategien und Denkmodelle, die ich nutze, um nicht permanent aus der Rolle zu fallen. Aus den einzelnen Situationen, diese leise Hoffnung habe ich nach wie vor, irgendwann ein Modell von "den Chinesen" entstehen zu lassen, das es erlaubt, einigermaßen zutreffende Mutmaßungen über diese oder jene Person anzustellen, ist ein schönes Langzeitprojekt für mich. (ja dieser Satz gerade war sehr krumm, ich lasse ihn aber stehen!) Einzelne Mutmaßungen sind mir im Moment zwar bereits möglich, aber ich rechne jederzeit damit, dass ich dieses oder jenes Verhalten, missinterpretiert habe.

Einzelsituationen:
Es gilt als unangemessen, bei einem Essen mit Freunden (wenigstens mit Freunden, die man nicht schon seit ewigen Zeiten kennt) einfach so, zufällig von seinem Wein, Bier, etc. zu trinken. Damit "vereinzelt" man sich und klinkt sich aus der Gemeinschaft aus. Eine Zigarette zu rauchen, ist ähnlich. Übertriebene Höflichkeit und Zuvorkommenheit ist die Norm.

In Gesprächen sagen meine Gesprächspartner sehr oft Dinge, die sie zwar nicht meinen, von denen sie aber wissen, dass ich sie gerne höre. Eine Meinung zu haben, bzw. diese zu vertreten, scheint nicht das Wichtigste, sondern nur ein Nebenprodukt einer Unterhaltung zu sein. Ich habe an anderer Stelle von "kreisendem" Denken gesprochen, Gespräche sind (für mich) umso interessanter, je länger es möglich ist, ein Thema zu "umkreisen", ohne den Gesprächspartner in die Verlegenheit zu bringen, mir widersprechen zu müssen.

Man sollte ein Wörterbuch herausbringen, in denen die wichtigsten Begriffe erklärt werden, denn in China sind sie anders besetzt: Freundschaft, Wille, Glaube, Treue, Ehrlichkeit, moralische Qualität eines Menschen, Zuverlässigkeit, Nutzen, Profit, Effizienz, Verantwortung etc.

Kontakte, gute Beziehungen, positive "Wellen" sind extrem wichtig. Es scheint so zu sein, dass Sprechen eine andere Funktion erfüllt, bzw. pragmatisch gesehen, IMMER auch der Deeskalation, bzw. Beziehungsverbesserung dienen sollte. So war und ist es mit einer langjährigen Freundin nach wie vor beinahe unmöglich, sich einfach mal Luft zu machen und sich über Gott und die Welt zu beschweren. Sie reagiert verwundert und persönlich betroffen, wenn ich mich über irgendetwas, egal was, beschwere. Negatives in der Form scheint es nicht zu geben. Ich weiss nicht, woran es liegt, vielleicht liegt es tatsächlich daran, dass Negatives als unproduktive Art der Sicht auf die Dinge, als überflüssig und unnötig angesehen wird und normalerweise nur zur Sprache kommt, wenn man es ECHT nicht mehr aushält und/oder einem die Stimmungslage des Gesprächspartner egal ist.

Der Westen ist in Phasen immer mal wieder von den Chinesen als den besseren Menschen restlos begeistert. Dafür gibt es keinen Grund. Denn die Chinesen sind nicht besser und nicht schlechter, sondern einfach Menschen, die Konflikten durch andere Gesprächsstrategien hervorragend aus dem Weg gehen können. Verantwortungsverlagerung und überbordendes Entgegenkommen sind jede für sich und in der Kombination eine sehr nützliche Strategie, dem Ärger auch in einem Sturm den Wind aus den Segeln zu nehmen. Es gibt für jeden Chinesen immer eine Unzahl von Gründen, nicht zuständig zu sein. Es gibt immer Kollegen und Vorgesetzte, die zuständig sein könnten. Und es gibt immer auch eine Unzahl von (unrealistischen aber sehr zuvorkommenden) Alternativen.

In Kurzform: Soweit ich es BISHER verstanden habe, ist ein wie auch immer gearteter Vorschlag, zuallererst einmal eine IDEE. Wie sich diese Idee entwickelt, hängt davon ab, was sich aus dieser Idee für zukünftige Ideen entwickeln lassen. Wieviel die Idee wert ist und wie ernst sie gemeint war, erfährt man zumeist innerhalb eines kurzen oder langen Zeitraums, wenn irgendeiner der Gesprächspartner etwas unternimmt. Eine Idee zu haben und nichts zu unternehmen, ist der Normalfall. Dann hatte die Idee wenigstens den Effekt, eine Freundschaft zu festigen und für Optimismus während eines Gesprächs zu sorgen.

Daneben: China ist eine unbarmherzige Ellenbogengesellschaft. -- Mit angelegten Ellenbogen. Über diesen Satz werde ich in den nächsten Monaten weiter nachdenken. Es ist mir nicht klar, wie die Chinesen es schaffen, in all der Konkurrenz (China ist nach wie vor ein Land des Mangels -- und China ist nach wie vor ein Land mit einer Unzahl von Menschen, die darauf brennen, ihre Situation zu verbessern) friedlich und herzlich zu sein. Denn das sind sie: Friedlich, herzlich und auch ehrlich, trotz aller kulturellen Durchformung. -- Wären sie das nicht, ich würde mich gar nicht mit ihnen beschäftigen wollen...

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die Stadt:

Wuhan ist eine riesige, sehr heterogene Stadt im Zentrum Chinas, am Yangtse. Auf der Karte zu finden, indem man von Shanghai aus, dem Yangtse flussaufwärts folgt. Die Stadt liegt auf der Höhe Ägyptens/Nordafrikas und ist einer der drei Glutöfen Chinas, d.h. es wird heiss im Sommer, -- sehr heiss, -- und damit meine ich heiss. Daneben ist sie die wichtigste innerchinesische (in Opposition zur Küste) Handelsstadt, und wird von der Regierung als der wichtigste Ausgangspunkt für die Entwicklung des kontinentalen Zentral-/Inner-Chinas betrachtet und entsprechend gefördert. Wuhan ist nach Shanghai und Peking die drittgrößte Studentenstadt, Tongji- und insbesondere die Wuhan-Universität (und bestimmt noch viele andere!) haben einen herausragenden landesweiten Ruf und sind der Ausgangspunkt für eine glorreiche berufliche Zukunft für viele chinesische Hochschüler.

Die Stadt ist riesig, breitet sich aus und hat durch die Lage an 2 Flüssen, drei relativ unabhängige Stadtzentren, von denen das Zentrum in Hankou das kommerziell entwickelste ist.
Industriell betrachtet ist Wuhan mit Stahl- und Autoindustrie (Peugeot) auch ein industrielles Zentrum. Die Lage am Fluss, bzw. die Position als Eisenbahnknotenpunkt im Zentrum Chinas, macht die Stadt als Produktionsstätte und auch als Handels/Umschlagsplatz logistisch vorteilhaft.

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die Frauen:

Die Frauen sind anders als die Männer. Haha. Was soll man als Mann über die Frauen sagen können, ohne den Kopf zu verlieren?!
Ich habe an anderer Stelle geschrieben: Die Frauen sind genauso schön und faszinierend wie anderenorts, -- nur zahlreicher! -- Und damit ist das Thema eigentlich auch schon ausreichend beschrieben. Nun neige ich manchmal -- und gerade bei diesem Thema -- zur Geschwätzigkeit und deshalb einige Eindrücke:

Das Verhältnis der Geschlechter hat sich in den letzten Jahren einigermaßen gewandelt. Das Zuvorkommende der Chinesen schlägt sich natürlich auch im Umgang mit dem Partner nieder. Und gerade da. Man ist als Turteltäubchen besorgt um den Anderen, passt auf ihn auf, klopft ihm das Gras von der Jacke, schustert ihm beim Essen unauffällig die besten Bissen zu und sitzt als Mann im Bus auf der Seite, wo die Leute stehen, zum Beispiel. Was sich geändert hat in den letzten paar Jahren, ist es, Arm in Arm und Hand in Hand durch die Stadt zu laufen. Das sieht man immer noch nicht häufig und einen Kuss in der Öffentlichkeit zu sehen, darauf warte ich nach Jahren in China immer noch vergeblich (und wahrscheinlich wäre ich angesichts einer solchen Obszonität schlichtweg entsetzt!), aber die chinesische Jugend scheint sich darauf besonnen zu haben, dass es nicht unbedingt unerhört sein muss, sich auch in der Öffentlichkeit als Freund und Freundin wenigstens zu erkennen zu geben.
Auch hier ist die chinesische Gesellschaft erstaunlich heterogen, denn völlige Enthaltsamkeit bis zur Heirat scheint genauso vorzukommen, wie (auch für deutsche Verhältnisse bedenkliche) vereinzelt anzutreffende Freizügigkeit, bzw. Beliebigkeit. (Wobei das auch etwas mit Orientierungslosigkeit zu tun haben könnte, aber ich wollte ja keine Mutmaßungen über das Verhalten von Menschen in einer mir immer noch sehr fremden Kultur anstellen!)

Wo sind nun aber die Frauen anders als die Männer? -- Sie scheinen nicht in der Form "Clans" und "Banden" zu bilden, wie die Männer das manchmal ganz gerne tun. Frauen rauchen nicht, reden fast nie über Geschäfte, exen kein Bier und sind, wenn Männer anwesend sind, eher Begleitpersonen und verantwortlich für Konversation und "good vibrations". Frauen in beruflich verantwortlichen Positionen gibt es natürlich (wenn auch seltener) und da ist es häufig einfacher, mit ihnen klarzukommen, als mit Männern, da sie mehr aufs eigentliche Geschäft konzentriert zu sein scheinen als die Männer das häufig sind.

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mein Leben hier:

Ich arbeite 10-20 Stunden in der Woche und kann davon leben. Was will ich mehr? (Ok, etwas mehr Geld wäre nicht schlecht, haha)
Aber ich bekomme Zeit und Freiraum, meine Gedanken zu ordnen, zu beobachten, interessante Menschen zu treffen, html zu lernen, mir über Gott und die Welt Gedanken zu machen, wirtschaftliche Notwendigkeiten zu studieren, chinesische Lieder zu lernen und diese beim Karaoke zu singen, zu verstehen, was Heimat ist und was das Wort "Heimweh" bedeutet und ich bekomme ganz allmählich eine Zusatzperson, die ich "墨白" nenne.

Ich halte es für psychisch gesundheitsfördernd, sich für einige Zeit aus seinem gewohnten Umfeld in neue Gefilde zu bewegen und zu sehen, dass es Alternativen zum Leben, an das man sich gewöhnt hat, gibt. So gibt es ja so einige Leute, die sehr gerne reisen und sich gerne die anderen Welten anschauen. Ich gehe einen ähnlichen und dennoch anderen Weg, denn ich könnte mit einer reinen Touristenperspektive hier nicht bestehen. Die Chinesen werden natürlich ebensowenig vergessen, dass ich kein Chinese bin, wie ich selber dies vergessen kann, ich werde immer ein Ausländer sein, denn die chinesische Gesellschaft ist alles andere als offen, auch wenn das häufig so aussieht. Bestandteil ist man entweder von Geburt an oder (wahrscheinlich) nie. Aber sich einige charakteristischen Elemente anzueignen oder sich an sie zu gewöhnen und die Chinesen womöglich aus der Nachahmung praktisch zu verstehen, verschönert mir den Tag. Sich bei einem größeren Essen als ganz normaler Bestandteil fühlen zu können, statt als "Stargast" ständig auf und aus der Rolle zu fallen, trägt ganz massiv zur Lebensqualität bei und ich denke, dass das mit der Zeit immer häufiger und leichter der Fall sein wird.

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Ich höre hier auf. Meine Freunde, meine Chancen, Perspektiven und Pläne wären noch zu ergänzen, irgendwann. Vielleicht fühle ich mich irgendwann berufen, das nachzuholen.

Passt auf euch auf! Und bleibt wie ihr seid ;-)
liebe Grüße
Volker